Viel Lob wurde dem Volk nach seinem Nein zur Durchsetzungsinitiative am Sonntag ausgesprochen. In diversen Kommentaren konnte man lesen, dass das klare Nein als Zeichen des Vertrauens in die direkte Demokratie zu werten sei: Radikale Initiativen würden vom Volk jenes Verdikt erhalten, welches sie verdienten.
Historisch hatten Initiativen stets einen schweren Stand, egal ob sie von links oder rechts kamen (Mitteparteien haben das Instrument Initiative erst in jüngster Vergangenheit entdeckt). Meist dienten Initiativen auch nicht dazu, das Anliegen direkt umzusetzen, sondern um Themen zu lancieren und die Diskussion zu einem Thema langfristig in eine neue Richtung zu führen. Seit rund zehn Jahren scheint diese These jedoch überholt: Immer mehr Initiativen werden auf nationaler Ebene angenommen und sie stammen alle ausnahmslos aus der politisch rechten Ecke: Minarett-Initiative, Ausschaffungsinitiative, Verwahrungsinitiative und Masseneinwanderungsinitiative wurden alle angenommen und hatten alle eine politisch rechte Agenda. Diese Themen dominieren den politischen Diskurs in jüngster Vergangenheit und man muss konstatieren, dass die SVP das Initiativrecht nutzt, um die politische Agenda in diesem Lande zu prägen. Die anderen Parteien befinden sich inzwischen in einem steten Abwehrkampf gegen die SVP. Insofern kann man feststellen, dass mit der Durchsetzungsinitiative ein Projekt der SVP an der Urne gescheitert ist, viele andere jedoch erfolgreich waren. Ich bin deshalb auch skeptisch, ob das Nein zur Durchsetzungsinitiative nun tatsächlich eine Trendwende bringen wird gegen jene rechten Initiativen: Wenn man sich anschaut, welch enormen Aufwand an Zeit, Engagement und Geld die Zivilgesellschaft in den Wochen vor der Abstimmung geleistet hat, um am Schluss ein 60:40 Stimmenverhältnis zu erreichen, dann ist fraglich, ob das in naher Zukunft weiterhin möglich ist. Ein solcher Kraftakt kann nicht im Halbjahrestakt geleistet werden und bereits in nächster Zeit stehen Abstimmungen über das Asylwesen und über „fremde Richter“ an. Insbesondere letztere Initiative nagt in ähnlichem Ausmass an unserem Rechtsstaat wie die Durchsetzungsinitiative.
Ich persönlich ziehe daraus zwei Schlüsse. Erstens gehört die Glorifizierung der direkten Demokratie durch die politische Linke kritisch hinterfragt. Linke Parteien haben momentan weder die inhaltlichen, noch die finanziellen Möglichkeiten, Initiativen auf nationaler Ebene zu gewinnen. Sie können einzig defensiv die schlimmsten Initiativen von rechts besiegen. Auf kommunaler und teilweise kantonaler Ebene mag dies anders aussehen, aber auf nationaler Ebene beschränken sich die direktdemokratischen reellen Möglichkeiten aktueller linker Politik auf Referenden.
Zweitens müssen neue Wege gefunden werden, mit verfassungs- und völkerrechtswidrigen Initiativen umzugehen. Das Parlament, das heute abschliessend über die Gültigkeit von Initiativen befindet, wagt es nicht mehr, dieses Recht korrekt anzuwenden und kuscht vor der Initiativen der SVP. Da uns ein Verfassungsgericht fehlt, kann auch die Judikative aktuell nicht eingreifen. Es muss ein Mechanismus gefunden werden, damit Initiativen, welche die Grundrechte der Bewohnerinnen und Bewohner dieses Landes tangieren, dem Volk nicht mehr zur Abstimmung vorgelegt werden.